Bibelsammlungen und Bibeln als Sammlungsobjekte

Bibelsammlungen und Bibeln als Sammlungsobjekte

Organisatoren
Caren Reimann, Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Christoph Schönau, Georg-August-Universität Göttingen (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel)
Ausrichter
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Förderer
Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel (MWW)
PLZ
38304
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
20.09.2023 - 21.09.2023
Von
Maren Schaefer, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel

Sammlungsforschung steht bereits seit zehn Jahren im Mittelpunkt intensiver Beschäftigung des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel, doch gerade Bibelsammlungen stellen in dieser Hinsicht noch immer ein Desiderat dar. Genau dort setzte der Workshop „Bibelsammlungen und Bibeln als Sammlungsobjekte“ unter der Leitung von Caren Reimann und Christoph Schönau an. Die Veranstaltung sollte nicht nur Vernetzungsmöglichkeiten schaffen, sondern im Idealfall auch als Auftakt dienen, um das Konzept vormoderner Bibelsammlungen aus sammlungshistorischer Perspektive zu beleuchten.

In ihrer thematischen Einführung öffnete CAREN REIMANN (Wolfenbüttel) drei Fragenkomplexe zum Thema, die sich jedoch erweitern lassen. Zum Ersten die Fragen an das Buch selbst: Wie wurde die Bibel Sammelobjekt, gab es Vermarktungsmechanismen, die ihren Nutzen als solches förderten? Zum Zweiten die Fragen an die Person, Gruppe oder Institution, die sammelte: Wie gestalteten sich die Netzwerke der Sammlerinnen und Sammler, wie veränderten sich die Sammlungsprofile im Laufe der Zeit? Und zuletzt Fragen an die Sammlung: Ist es möglich, verschiedene Arten von Bibelsammlungen zu unterscheiden, zum Beispiel anhand von intendiertem Nutzen oder konfessionellen Faktoren?

Die Konfession der Sammelnden war auch ein Thema im Eröffnungsvortrag des Historikers JINDŘICH MAREK (Prag). Er untersuchte neben der Religion auch den sozialen Stand und die Erwerbsstrategien tschechischer Bibelsammler im 16. Jahrhundert. Obwohl nach jetzigem Forschungsstand, so Marek, kaum von einer expliziten Bibelsammlung in diesem Untersuchungsrahmen die Rede sein könne, konnte er aufzeigen, dass vor allem Adlige in ihren Bibliotheken auch Bibeln sammelten. Geistliche Prälaten hingegen besaßen aufgrund ihres Amtes zwar Bibeln, sammelten diese aber nicht. Die Konfession schließlich spielte in den untersuchten Fällen keine große Rolle für das Sammlungsprofil.

Die Bibliothekarin KATJA LORENZ (Weimar) rückte eine Institution als Sammlerin in den Fokus und verband die Geschichte der Herzogin Anna Amalia Bibliothek mit der der dortigen, bis in das 18. Jahrhundert zurückgehenden Bibelsammlung. Über aktuelle Neuerwerbungen von geschlossenen, eigenständigen Sammlungen stieß sie die Problematik des Umgangs von Institutionen mit solchen an: Es müsse eine Balance zwischen Bewahrung des Sammlungscharakters und der Integration in existierende Bestände gefunden werden. Abschließend stellte Lorenz die Frage, „ob man Provenienzgeschichte mit der Erwerbung eines Buches enden lassen oder stattdessen überlegen sollte, sie noch weiter zu erzählen.“

Die nächsten beiden Vorträge widmeten sich den Intentionen, die hinter der Anlage einer Bibelsammlung stehen konnten. Der Theologe CHRISTIAN HERRMANN (Stuttgart) belegte quellennah, dass der Kopenhagener Pastor und Büchersammler Josias Lorck einen Vollständigkeitsanspruch an seine Bibelsammlung stellte. Dieser Anspruch ergab sich aus Lorcks Bibliophilie und Frömmigkeit, denn er sah die große Verbreitung der Bibel als Beweis dafür, dass in ihr das tatsächliche Wort Gottes geschrieben stand. Er wollte mit einer möglichst umfassenden Sammlung die Bibelgeschichte vorantreiben, dementsprechend wenig einschränkend waren seine Auswahlkriterien. Herrmann konnte Hinweise auf Lorcks Absichten daher bereits aus dessen Sammlungsprofil herausarbeiten.

In der eigentlich männlichen Domäne der Bibelsammler legte die Kunsthistorikerin CAREN REIMANN (Wolfenbüttel) den Fokus auf eine Frau: Elisabeth Sophie Marie von Braunschweig-Wolfenbüttel schaffte es als verwitwete und kinderlose Herzogin durch ihre Sammlungstätigkeit ihre Position am Hof zu festigen. Reimann stellte das enge Netzwerk der Bibelsammler im 18. Jahrhundert vor, in dem sich die Herzogin bewegte. Ein Blick auf die Sammlungen in diesem Netzwerk zeigte, dass reine Bibelsammlungen primär keine Arbeitsbibliotheken waren, sondern über Erhaltung der Bücher und deren Bereitstellung die Benutzbarkeit als höchstes Ziel hatten. „Bibelsammlungen“, so hielt Reimann abschließend fest, „lassen sich nicht nur mit bibliophiler Sammeltätigkeit erklären.“

Die Historikerin FELICITY JENSZ (Münster) brachte eine globale Perspektive in den Workshop ein. Sie stellte die Anfänge eines Forschungsprojekts vor, das die Beiträge britischer und deutscher Bibelgesellschaften zur Schaffung einer „globalen Bibel“ im 19. Jahrhundert untersuchen will. Anhand der Fallbeispiele Arktis, Ozeanien und Westafrika soll die Aus- und Verbreitung sowie die Rezeption der Bibeln vor Ort erforscht werden. Jensz merkte an, dass der Workshop hiermit den Weg der Bibel vom Prestige- und Sammelobjekt hin zum Alltagsgegenstand nachvollzogen hätte, der, so Wunsch der untersuchten Bibelgesellschaften, allen Menschen in der jeweiligen Muttersprache zur Verfügung stehen sollte.

Von der Bibel als Alltagsgegenstand führte der letzte Vortrag der Veranstaltung hin zur Bibel als Wirtschaftsgut und Medium der Massenkommunikation. Der Wirtschaftswissenschaftler WOLFANG SCHELLMANN (Lüneburg) stellte das Publikationsprogramm der Lüneburger Offizin der Sterne vor, einer der wichtigsten Offizinen im Bereich des Bibeldrucks im 17. Jahrhundert. Die hohe gestalterische Vielfalt der Ausgaben erklärte Schellmann durch ein Geschäftsmodell, das Bibeleditionen auch auf kurzlebigen Verbrauch auslegte und damit schnell auf die aktuelle Nachfrage reagieren konnte. Besonderen Fokus legte Schellmann auf die Ausstattung der Ausgaben mit Illustrationen, die er in ihrer Wirkmächtigkeit als Archetyp der modernen Printmedien bezeichnete.

Die Vorträge des Workshops warfen Schlaglichter auf unterschiedlichste Aspekte der Geschichte des Bibelsammelns und waren doch durch einen roten Faden verbunden: die Veränderlichkeit von Sammlungen und Sammelobjekten. Bibelsammlungen und Bibeln werden verschenkt, verkauft oder als Kriegsbeute geraubt und wandern so von Sammlerin zu Sammler, von privater in institutionelle Hand. Diese komplexe Beweglichkeit besser erkenn- und nutzbar zu machen – durch exemplarspezifische Erfassung sowie die Vernetzung sammlungsbewahrender Institutionen und Forschender – war der finale Appell der Abschlussdiskussion.

Konferenzübersicht:

Ulrike Gleixner (Wolfenbüttel): Begrüßung

Caren Reimann (Wolfenbüttel): Thematische Einführung

Sektion I:

Moderation: Christoph Schönau (Göttingen)

Jindřich Marek (Prag): Bibles in Czech and Moravian Libraries around 1600

Katja Lorenz (Weimar): Die Weimarer Bibelsammlung

Sektion II:

Moderation: Stephan Bialas-Pophanken (Wolfenbüttel)

Christian Herrmann (Stuttgart): Eine Bibelsammlung als Gottesbeweis – Pastor Lorck als Bibliophiler und Theologe

Caren Reimann (Wolfenbüttel): Herzogin Elisabeth Sophie Marie von Braunschweig-Wolfenbüttel im Netzwerk der Bibelsammler des 18. Jahrhunderts

Sektion III:

Moderation: Ulrike Gleixner (Wolfenbüttel)

Felicity Jensz (Münster): Die globale Arbeit der britischen und deutschen Bibelgesellschaften im 19. Jahrhundert / The Global Work of British and German Bible Societies in the 19th Century

Wolfgang Schellmann (Lüneburg): Drucksache Bibel – Archetyp moderner Printmedien